UPM Biofore Magazine 2-2019 DE

DEM PHYSIKER Geoffrey West zufolge wirkt eine Stadt wie ein großer Magnet. Städte sind die physische Manifestation unserer Interaktionen und der Ansammlung von Individuen.

ten Lebensstandard weiterhin genie- ßen können sollen. Daher entwickelte er eine wissenschaftliche Theorie der Städte – eine Bibel des sozialen Lebens, die als Instrument für die Bewältigung der rasanten Urbanisierung dienen soll. Geoffrey West verbrachte den größ- ten Teil seines Berufslebens damit, im Los Alamos National Laboratory über Quarks, Stringtheorie und andere Aspekte der Realität zu forschen. Anfang der 1990er Jahre wurde er dann für das Santa Fe Institute (SFI) tätig. Das 1984 gegründete Santa Fe Institute war das erste Forschungs­ institut, das sich der Untersuchung komplexer adaptiver Systeme widmete. Es ist berühmt für seinen ausgeprägt explorativen Ansatz sowie für seine renommierten Gastprofessoren und interdisziplinären Lehrkräfte. West begann eine Zusammenarbeit mit Biologen zu den Energiegesetzen. Sie begaben sich dabei auf die Spuren vonMax Kleiber, der in den 1930er Jahren beobachtete, dass die metabo- lische Rate in Proportion zur Körper­ masse um die Potenz¾steigt. Ein Tier, das doppelt so groß ist wie ein anderes, braucht zu seiner Versorgung nur 75 % mehr Energie. Eine ähnliche Skalierung ist in der Biologie allgegenwärtig. Von der Spitzmaus über denMenschen bis hin zumBlauwal: Säugetiere sind skalierte Versionen voneinander, mit mess- und vorhersehbaren Gesetzmäßigkeiten. Trotz der Eigenheiten von Darwins Evolutionstheorie und der natürlichen Auslese gibt es für das Leben einfache allgemein gültige Grundsätze. West fragte sich daraufhin, ob die gleichen Skalengesetze auch auf Städte und Unternehmen zutreffen. Sind Metaphern wie „DNS eines Unterneh­ mens“ oder „Stoffwechsel einer Stadt“ gerechtfertigt? Ist London nur ein gro- ßes Helsinki? Tatsächlich trifft diese These zu – nicht nur in materieller, sondern auch in sozioökonomischer Hinsicht. Das Einfache allgemein gültige Grundsätze

ist der Kernpunkt vonWests Bestseller Scale: The Universal Laws of Growth, Innovation, Sustainability, and the Pace of Life in Organisms, Cities, Economies, and Companies (zu Deutsch: „Scale: Die universalen Gesetze des Lebens von Organismen, Städten und Unternehmen“). Das natürliche Wachstum ist subli- near oder begrenzt. Man spricht hier von einem Skaleneffekt. Das natürli- che Wachstumwird durch die allge- meinen physikalischen Eigenschaften des Netzwerks bestimmt, von dem das Leben abhängt. Auch Städte sind Netzwerke. West und seine Kollegen stellten fest, dass die Infrastruktur genauso wie die Biologie sublinear skaliert. Verdoppelt sich die Einwohnerzahl einer Stadt, benötigt sie 85 %mehr Infrastruktur. Man spart 15 %. Dasselbe Verhältnis gilt für die Länge von Straßen, Schienen oder elek- trischen Leitungen oder die Anzahl der Weniger Infrastruktur, mehr Innovationen

Es ist ein kontinuierlicher Innovationszyklus erfor- derlich, um anhaltendes Wachstum zu ermöglichen. Und auch die Innovations- geschwindigkeit muss laufend erhöht werden.

Tankstellen. Überall wirken die gleichen Skaleneffekte. Die wahre Überraschung war jedoch, dass auch die sozioökonomischen Variablen skalieren, obwohl es hierfür in der Natur keine Analogie gibt. Das SFI hat alle denkbaren sozioökonomi- schen Variablen untersucht und überall die gleichen Skaleneffekte vorgefunden – von Löhnen undWohlstand über die Häufigkeit von AIDS bis hin zur Größe des Polizeiapparats. Inzwischen ist der Exponent jedoch größer als eins (zwischen 1,15 und 1,2). Wenn sich die also die Einwohnerzahl einer Stadt verdoppelt, erhält man auto-

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